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von Meri Mäkelä
Man stelle sich eine Geburtstagsparty vor. Auf dem Tisch steht ein großer Kuchen und alle Gäste können sich nach Lust und Laune bedienen. Was als Freiheit gedacht war, entpuppt sich schnell als absolute Party-Katastrophe. Denn die Eltern futtern schon beim Tischdecken die ersten Stücke, so dass der Kuchen schon arg geschrumpft ist, noch bevor die Kinder das Haus stürmen. Für einen zweiten Kuchen reichen die Zutaten in der Küche nicht mehr, so dass die jungen Gäste kaum Kuchen abbekommen. Die gute Stimmung gerät zunehmend ins Schwanken und heftige Kämpfe um den verbleibenden Kuchen drohen auszubrechen.
Und die Kinder fragen: warum habt ihr uns nichts übrig gelassen!? Wieso habt ihr den Kuchen nicht besser eingeteilt?
Genau das gleiche Problem hatte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zu lösen, als es am 29. April 2021 seinen Beschluss zum deutschen Klimaschutzgesetz veröffentlichte. Denn, auf einem Kindergeburtstag vollkommen harmlos, verletzt das Versagen der deutschen Politiker*innen mit Blick auf die generationenungerechte Klimaschutzpolitik die Beschwerdeführenden in ihren Freiheitsgrundrechten (namentlich Art. 2 II, 1 GG). Das berüchtigte Klimaschutzgesetz von 2019 ist für teilweise verfassungswidrig erklärt worden und dem Gesetzgeber bleibt nun bis zum 31. Dezember 2022 Zeit, das auszubügeln.
Während Politiker*innen wie aufgescheuchte Hühner versuchen, zu erklären, dass sie ja eigentlich alles richtig gemacht hätten und versuchen ihr beschmutztes Klimaprofil zu säubern, lohnt es sich, einen genaueren Blick in diesen epochalen und zukunftsweisenden Beschluss zu werfen. Ich bin dabei auf drei Meilensteine gestoßen…
Zunächst verdient Beachtung, dass das Gericht mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit die Beschwerdebefugnis aller Beschwerdeführenden bejaht, die einen angesichts der vergangenen Urteilen die Augen reiben lässt.
Mit der Beschwerdebefugnis ist es so: Wer an ihr scheitert, hat sofort verloren, denn die Klage ist unzulässig. Wer sie erringt, bekommt die Chance die Klage zu Begründen. Erst hier werden Fragen der Verfassungsmäßigkeit zum Beispiel des Klimaschutzgesetzes ausdiskutiert. Es ist also zwingend notwendig, beschwerdebefugt zu sein.
Im Rahmen von sogenannten Klimaklagen waren Gerichte bis jetzt äußerst zögerlich. Kläger*innen müssten besonders vom Klimawandel betroffen sein, sich also in ihrem Betroffenheitsgrad von der Allgemeinheit abheben (vgl. EuG, Beschluss vom 8. Mai 2019, Carvalho, T-330/18, EU:T:2019:324, Rn. 33 ff.; siehe auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2018 – 2 BvR 1371/13 -, Rn. 47). Anders das BVerfG 2021: Bei allen neun Jugendliche, egal ob Studentin oder Kind einer Bauernfamilie, und sogar bei den Beschwerdeführenden aus Nepal und Bangladesch wird die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung bejaht. Die Warnung vor dem Einzug der Popularverfassungsbeschwerde, die das BVerfG arbeitsunfähig machen würde, wie von manchen befürchtet, greift allerdings zu kurz. Denn vom Klimawandel sind wir nun einmal alle betroffen. Dass gerade bei einer globalen Bedrohung der Grundrechtsschutz versagen sollte, leuchtet nicht ein. Gerade wenn es dicke kommt, muss der Grundrechtsschutz umso stärker sein.
Die Staaten dieser Welt sind engmaschig vernetzt und Deutschland ist – Überraschung – wichtiger Teil und Treiber dieser Globalisierung. Für die Wirtschaft eine Banalität sind die Einflüsse auf die verfassungsrechtliche Ebene doch nicht ganz unumstritten. Mit erstaunlicher Hartnäckigkeit hebt das BVerfG nun ausdrücklich hervor, dass der verfassungsrechtliche Auftrag zum Klimaschutz in Art. 20a GG nicht an den Ländergrenzen Halt macht, sondern eine immanente internationale Dimension in sich trägt. Der Klimawandel ist global verursacht und verlangt dementsprechend eine globale Lösung. Der deutsche Gesetzgeber wird dazu aufgerufen, sich für den Klimaschutz international einzubinden (Rn. 149). Gleichzeitig erinnert das BVerfG an die bei manchen möglicherweise schon verblassten Ziele des Pariser Klimaabkommen von 2015. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 ° Grad zu beschränken und jedenfalls wesentlich unter 2 ° Grad, ist keine unverbindliche Verabredung nach dem Motto „Schön wär’s, aber wenn’s nicht klappt, halb so wild“ , sondern ist mit Art. 20a GG verfassungsmäßig verankert.
Das BVerfG also nun als neuer Prüfer für die Pariser Klimaziele? – charmant.
Der letzte und wahrscheinlich wichtigste Meilenstein beruht auf einem sofort einleuchtenden Prinzip à la Kuchenkampf von oben. Wenn wir nämlich heute ganz viel CO2 verbrauchen und wenig bis nichts dafür tun, dass strukturell weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt, dann bleibt von dem CO2-Budget für folgende Generationen nur noch sehr wenig übrig. Die Folge ist, und hier wird aus einfacher Mathematik Verfassungsrecht, dass die Freiheitsbeschränkungen und damit Grundrechtseingriffe sich unverhältnismäßig auf die zukünftigen Generationen verlagern werden. Dass Freiheit des einen da aufhört, wo die Freiheit anderer gefährdet wird, ist wohl Konsens. Dass diese Überlegung auch zwischen Heute und Später gilt, wurde jetzt erstmalig bekräftigt, obwohl es für uns junge Menschen schon immer absolut einleuchtend war.
Das BVerfG formuliert: „Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“ (Rn. 183). Das KSG (vgl. in § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3) greift nach dem BVerfG also nicht aktuell in Freiheitsphären der Beschwerdeführenden ein – hätte man sich vielleicht auch vorstellen können –, sondern trägt mit seinen unambitionierten Klimaschutzmaßnahmen unausweichliche Freiheitseingriffe in sich. Die Generationengerechtigkeit in Sachen Klimaschutz hat damit die notwendige verfassungsrechtliche Verankerung erhalten.
Der Beschluss zum Klimaschutzgesetz ist keine Wundertüte. Punkte wie ein Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum oder ein eigenes Klima-Grundrecht haben die Klageparteien nicht aus dem BVerfG herauskitzeln können. Auch wurde die Bundesregierung nicht für ihre Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 als solche abgestraft, sondern nur hinsichtlich der unzureichenden Ausgestaltung der künftigen Jahresemissionsmengen sowie der Tatsache, dass das Gesetz nach 2031 keine gesetzgeberische Beteiligung mehr vorsieht (vgl. Rechtsverordnungen in § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG).
Aber wir sind uns sicher, dass diese Ausgestaltung des Gesetzes für die Zeit nach 2030 deutlich machen wird, dass die notwendigen Freiheitseinschränkungen nicht gleichmäßig verteilt sind.
Und darum ist mit diesem Beschluss ein großer Schritt in Richtung gerechtere Klimapolitik genommen worden. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber können sich nicht mehr hinter ihrem Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum verstecken und darauf vertrauen, dass Karlsruhe beide Augen zudrückt. Nein, Klimaschutz ist jetzt einklagbar!
Künftige Generationen müssen hier und heute berücksichtigt werden, auch wenn sie noch nicht selbst zur Wahlurne laufen können. Wenn der Gesetzgeber das nicht versteht, dann muss er sich bewusst sein, dass viele weitere Kläger*innen bei Karlsruhe anklopfen werden.
Und das ist unser gutes (Grund-)Recht!
Weiterführende Quellen:
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
Klimaschutzgesetz von 2019:
http://www.gesetze-im-internet.de/ksg/KSG.pdf
Auswertung zum Urteil durch Germanwatch:
https://germanwatch.org/sites/default/files/Auswertung%20Urteil.PDF
Beiträge beim Verfassungsblog:
https://verfassungsblog.de/judges-for-future/
https://verfassungsblog.de/die-freiheit-der-zukunft/
https://verfassungsblog.de/the-constitution-speaks-in-the-future-tense/
https://verfassungsblog.de/ok-boomer/