BUNDjugend  
Corona weltweit

Interview mit Theresa aus Südafrika

  1. Alter, Beruf, Superheldenpower
    Ich bin 30 Jahre alt und Projektkoordinatorin sowie Fundraiserin für Nonprofit-Organisationen. Meine Super-Power ist Zuhören!
  2. In welcher Situation befindet sich das Land, in welchem du lebst, gerade in Bezug auf Cornona-Krise?
    Ich lebe in Kapstadt, Südafrika. Seit 12 Tagen haben wir Ausgangssperre. Laut aktueller Statistik gibt es 1749 Infizierte und 14 Tote.
  3. Wie geht die Politik mit der Krise um?
    Die Regierung hat verglichen mit anderen Ländern relativ früh eine Ausgangssperre verkündet. Dabei wurden zunächst viele Hilfspakete versprochen. Leider ist davon bei den Bedürftigen noch nichts oder noch nicht viel angekommen. Die Ausgangssperre wurde erst 3 Tage vor dem Eintreten verkündet. Für viele war es ein Schock, denn für die Mehrheit der Bevölkerung hat es mit mehr als Stillstand zu tun – sie können sich eine Isolation zuhause nicht leisten. Der ‚Lock-Down‘ hat viele Kettenreaktionen ausgelöst, mit denen vor allem Ärmere zu schaffen haben. Südafrika ist ein Land in dem es eine Ausnahme darstellt, wenn man eine finanzielle Absicherung für 21 Tage einplanen kann. Eine traurige Herausforderung ist die Schätzung, dass sich die Rate häuslicher Gewalt durch die Ausgangssperre verdoppelt hat. Es braucht mehr Unterstützung an vielen Ecken und Enden: finanziell und mental.
  4. Wie fühlst du dich persönlich? Wie beeinflusst die Situation dich und dein Leben? Was gibt dir Kraft?
    Wenn man in einem Land mit so viel Ungleichheit lebt, wird schnell klar, dass Selbst-Isolation ein Privileg der Wohlhabenderen ist. Ich habe ein Dach über dem Kopf, Internet und Essen, während andere in vielen Fällen mit rund 10 anderen Personen in einer Hütte, einem ‚Shack‘, leben müssen, keinen Zugang zu Internet haben, aufgrund der Ausgangssperre kein Geld generieren können und nur selten über die nötigen Hygiene-Standards wie sauberes Wasser verfügen. Da fällt es mir manchmal schwer, mit den eigenen Privilegien klarzukommen, wenn ich weiß, dass 2km weiter weg eine Vielzahl an Menschen damit ringen muss, ihre nächste Mahlzeit zu ergattern.

    Nichtsdestotrotz ist es unglaublich beeindruckend zu sehen, wie die Zivilgesellschaft auf die Situation reagiert und gemeinsam nach Lösungen sucht. Dazu mehr unter Punkt 8.

  5. Wie gehen weniger privilegierte Menschen mit Covid-19 um? Also Menschen, die in Slums, Flüchtlingslagern oder Randbezirken leben. Was sind die größten Herausforderungen dort und wie wird damit umgegangen?
    Ich weiß nicht wo ich anfangen soll. In erster Linie gibt es wenig Bildungsarbeit, die in einer angemessenen Art und Weise weniger Privilegierte erreichen kann. Es braucht mehr Community-Leaders, die darauf achten und dafür plädieren, dass die Menschen zuhause bleiben. Nach 12 Tagen Ausgangssperre laufen immer noch viele, viele Menschen auf der Straße. Es ist nur schwer sie zu verurteilen, wenn man weiß, dass es ihnen zuhause nicht gut geht, dass sie dort nichts zu tun haben oder dass es dort einfach zu eng ist. Kulturelle und spirituelle Einflüsse haben verschiedene Theorien und Fake-News zum Kursieren gebracht (z.B. ‚es trifft nur die Reichen‘), die aber inzwischen von der Regierung bestraft werden.
  6. Wie gehen junge Menschen mit der Situation um? Wie stark ist der Alltag von jungen Menschen beeinflusst? (Studium, Schule, Ausbildung).
    Durch die Ausgangssperre sind wirklich alle komplett von der Pandemie beeinflusst. Viele können ihre Ausbildung nicht weitermachen, ihre Familie ernähren oder einen Wifi-Zugang nutzen.

    Zusammen mit der Organisation Amava Oluntu arbeite ich mit 8 jungen Erwachsenen aus verschiedenen Townships zusammen. Wir sind durchgehend im Kontakt und treffen uns 1x in der Woche über GoToMeeting. Dabei tauschen wir uns darüber aus, wie jeder Einzelne zur aktuellen Situation und zur Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft beitragen kann. Die jungen Leute haben tolle Ideen, viel Willenskraft und geben wirklich alles, was ihnen in den Händen liegt.

  7. Wie solidarisch ist die Gesellschaft in der momentanen Situation?
    Die Gesellschaft hält gerade jetzt wirklich zusammen. In Südafrika, wo man immer noch mit den Folgen der Apartheid zu kämpfen hat, gibt es nun die Chance, eine Gemeinschaft aufzubauen, die sich fern von Hautfarbe und Herkunft unterstützt. Die Unterschiede liegen nach wie vor auf der Hand. Allerdings liegt es nun mehr denn je an jedem Bürger, die Brücke zu schlagen und einander zu helfen, denn wir sind alle voneinander abhängig.

    Während die Regierung immer noch versucht, die nötigen Hilfsstrukturen aufzubauen, haben Organisationen, Initiativen und Freiwillige in Kapstadt ein Gemeinschafts-Netzwerk zur Bekämpfung des Virus aufgebaut. Schon über 70 Gruppierungen haben sich gegründet, die in verschiedenen Nachbarschaften und Viertel ihre Zeit und Ressourcen einsetzen. Die daraus resultierende Dachinitiative „Cape Town Together“ koordiniert die Gesamtstrategie, vernetzt Untergruppen und versucht, politischen Einfluss zu gewinnen. Aufgrund der stark ungleichen Verteilung von Bevölkerung und Ressourcen, hat sich das Buddy-System bisher bewährt, bei dem eine stärkere Community eine weniger starken Community unterstützt. In Muizenberg, wo ich wohne, kooperieren wir mit dem Nachbarort Vrygrond. Über Community-Mapping, Online-Tools und viel Austausch wird identifiziert, wo und wer gerade Hilfe benötigt.

    Weitere Initiativen unterstützen lokale Bauern, Restaurants und Haushaltshilfen, deren Überleben besonders gefährdet ist. Das alles wäre ohne WhatsApp und Facebook nicht denkbar. Leider haben viele kein Geld für Internet und Strom. Hier kann man in Südafrika jedoch wirklich einfach und schnell helfen, indem man über sein Bankkonto einfach einer Sim-Karte oder einem Stromzähler virtuell Guthaben schicken kann. Über ein Google-Formular habe ich also eine Liste erstellt, über die Spender ganz einfach den Hilfesuchenden Zugang zu Internet oder Strom ermöglichen.

    Die enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Gruppierungen gibt da tatsächlich auch Hoffnung, dass die prekäre soziale Ungleichheit damit bekämpft werden könnte. Jedenfalls leistet es einen starken Beitrag zum Brückenbauen, und gerade das braucht die Gesellschaft -jenseits Covid-19.

  8. Können wir aus Deutschland irgendwie helfen?
    Natürlich weiß ich, dass es in Deutschland und der EU durch die Pandemie sorgenerregende Entwicklungen gibt und viele Menschen darunter leiden müssen. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass das Augenmerk nicht immer nur auf die eigenen Bedürfnisse und Probleme gelenkt wird. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Medienarbeit, die ich in Deutschland verfolge und als sehr ego-zentrisch wahrnehme.  Es könnte mehr über die Situation in anderen Ländern berichtet werden und darüber, welchen Beitrag man selbst als Person leisten kann, um anderen zu helfen, die in schwierigeren Situationen sind. Globale Machtstrukturen kommen in Situationen wie jetzt zum Vorschein und sollten mehr in einen Ausgleich gebracht werden. Ich hoffe, dass der Globale Süden von (immer noch) wirtschaftsstarken Ländern wie Deutschland mehr Unterstützung erfährt und mehr Einzelpersonen Möglichkeiten der Solidarität wahrnehmen. Dabei möchte ich nicht auf postkoloniale Systeme schieben, die durchaus Vieles beeinflussen. Es braucht einfach einen Umbruch beziehungsweise einen Neustart mit einem ‚Wir‘, das von uns allen global und gemeinsam ausgeht. Zum ersten Mal in der Geschichte bekämpfen wir als eine internationale Einheit einen Gegner. Ich hoffe, dass es uns nicht nur viel Sorgen macht und zu mehr Kluft und nationalistischen Einsichten führt, sondern dass wir es als Chance nutzen und damit zusammenhängende positive Auswirkungen wie Klimaschutz und soziale Achtsamkeit lange anhalten können.

Weitere relevante Informationen zum Text und Links aus Kapstadt:

Die lokale Organisation, die ich im Fundraising und Management unterstütze: Amava Oluntu, https://www.amava.org/donate/

Das lokale Krisen- und Aktionsnetzwerk: Muizenberg CAN, www.muizenbergcan.org/

Die vernetzende Dachinitiative lokaler Gruppierungen aus Kapstadt: Cape Town Together, https://www.facebook.com/groups/CapeTownTogether

Gesundheitsamt mit aktuellen Informationen: https://www.nicd.ac.za/

Info-Seite der Regierung zu Covid-Response: https://sacoronavirus.co.za/